Volkswagen will den CO₂-Fußabdruck seiner Flotte in Europa bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent senken. Klar, dass vollelektrische Pkw dabei eine Schlüsselrolle spielen werden. Doch mit Blick auf global unterschiedliche Kundenbedürfnisse, Antriebspräferenzen und Rahmenbedingungen verliert man auch regenerative Kraftstoffe nicht aus den Augen – wie Prof. Dr. Thomas Garbe, Leiter Otto- und Dieselkraftstoffe der Volkswagen AG, in unserem Interview darlegt.
Herr Garbe, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen suchen derzeit verstärkt nach Wegen, ihre Flottenemissionen zu senken – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sowie der Clean Vehicles Directive. Welche Ansätze könnten Fuhrparkbetreiber hier verfolgen?
Sofern die Infrastruktur dafür vorhanden ist, zunächst natürlich die Umstellung auf eine Elektroflotte. Das ist sozusagen der Königsweg – und meiner Meinung nach gehen Flottenbetreiber in Deutschland, Skandinavien und den Beneluxländern hier mit großen Schritten voran. Dagegen dürfte diese Transformation in anderen Regionen deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen. Aus diesem Grund setzt Volkswagen bis zur vollständigen Elektrifizierung des Weltmarkts auch auf alternative Antriebstechnologien.
Könnten Sie uns die Gründe hierfür etwas näher erläutern?
Dazu sollte man sich als erstes den existierenden Fahrzeugbestand ansehen: Wir haben eine enorm hohe Zahl an Verbrennungsmotoren im Feld – weltweit sind derzeit rund 1,4 Milliarden Straßenfahrzeuge unterwegs. Sie alle können durch den Einsatz alternativer Kraftstoffe zumindest klimafreundlicher, im Idealfall sogar komplett CO₂-neutral betrieben werden.
Bereits heute verfügbar: Die Menge beschränkt sich auf 20 bis 30 Prozent des Energiebedarfs.
An welche alternativen Kraftstoffe denken Sie dabei konkret?
Auf Diesel-Seite fällt die Antwort vergleichsweise einfach aus – Stichwort paraffinische Kraftstoffe beziehungsweise paraffinischer Diesel. Da haben wir es mit einem breiten Spektrum an nachhaltigen Rohstoffen zu tun, hierunter insbesondere Kraftstoffe, die aus biologischen Rest- und Abfallstoffen hergestellt werden. Ein gutes Beispiel ist HVO, die Kurzform für Hydrotreated Vegetable Oil, also hydrierte Pflanzenöle. Die Öle werden durch die Reaktion mit Wasserstoff in Kohlenwasserstoffe umgewandelt. Das Besondere daran: Man kann dem Dieselkraftstoff diese Kohlenwasserstoffe in beliebiger Menge beimischen oder sie sogar zu 100 Prozent als Kraftstoff verwenden. Pflanzenöle wie Rapsöl lassen sich zwar auch für die Herstellung von HVO nutzen, jedoch erschließt sich die maximale Umweltwirkung erst durch den Einsatz von Altspeiseöl, Rückständen aus der Holz- und Papierherstellung etc. Und was vielleicht nicht alle wissen: Biokraftstoffe wie HVO sind bereits im Markt. Ihr Anteil am europäischen Energiemarkt für den Straßenverkehr könnte bis zum Ende der Dekade sogar auf 20 bis 30 Prozent gesteigert werden.
Kann man noch höhere Mengen herstellen als den genannten Anteil?
Naturgemäß ist die Menge an Biokraftstoff begrenzt. Ergänzend zu den Biokraftstoffen können dann so genannte E-Fuels – Kraftstoffe aus Strom und CO₂ ergänzt werden. Für Dieselmotoren ist dabei der so genannte Fischer Tropsch Diesel von Bedeutung. Das Schöne ist: Der hat die gleichen physikalisch-chemischen Eigenschaften wie das HVO, somit sind alle Autos dann automatisch frei gegeben.
Welche Motoren sind seitens Volkswagen für solche für paraffinische Kraftstoffe freigegeben?
Diese offizielle Freigabe nach der europäischen Norm EN 15940 besteht seit 2021 ab Werk für alle Modelle mit den neuesten 4-Zylinder-Dieselmotoren (TDI) und ab 2022 für die 6-Zylinder-Diesel. Kundinnen und Kunden erkennen das übrigens an einem „XTL“-Aufkleber in der Tankklappe.
Für welche Nutzergruppen könnten solche paraffinischen Kraftstoffe interessant sein?
Ich denke da zum Beispiel an Unternehmen mit Mischflotten aus elektrisch angetriebenen Fahrzeugen und konventionellen Verbrennungsmotoren. Paraffinische Kraftstoffe wie HVO können eine sehr sinnvolle Ergänzung sein; sie ermöglichen CO₂-Einsparungen von rund 70 bis 95 Prozent im Vergleich zu herkömmlichem Diesel. Sie werden teilweise einfach als HVO, aber auch unter verschiedenen Markennamen wie NesteMy, Eni HOVlution angeboten. Entscheidend für den Nutzer ist, dass der Kraftstoff die Qualitätsnorm EN 15940 erfüllt – üblicherweise sind die Tankstellen entsprechend gekennzeichnet.
Das klingt alles sehr gut – gibt es einen Haken an der Sache?
In sehr vielen europäischen Ländern wird HVO bereits an öffentlichen Tankstellen angeboten. Aktuell ist HVO in Deutschland nur für geschlossene Flotten erlaubt. Heißt also, der jeweilige Kunde muss eine eigene HVO-Tankstelle auf seinem Betriebsgelände haben. Sobald die Fahrerinnen und Fahrer Deutschland verlassen, können sie jedoch in vielen Ländern problemlos HVO tanken. In den Niederlanden gibt es beispielsweise flächendeckend paraffinischen Diesel, und auch in Spanien wächst das Netz zunehmend. Wir gehen davon aus, dass ab April 2024 auch in Deutschland die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die öffentliche Verfügbarkeit von HVO geschaffen sein wird. Bis dahin können Nutzerinnen und Nutzer Mischkraftstoffe tanken, die eine deutliche CO₂-Minderung versprechen.
„Mit der Nutzung der umweltfreundlichen Kraftstoffe in den dafür freigegebenen Volkswagen Modellen ermöglichen wir Kundinnen und Kunden in ganz Europa, ihre CO₂-Emissionen signifikant zu senken.“
Prof. Dr. Thomas Garbe
Leiter Otto- und Dieselkraftstoffe, Volkswagen AG
Was verbirgt sich hinter den angesprochenen Mischkraftstoffen?
Deutlich stärker verbreitet als vollständig paraffinischer Diesel sind Dieselkraftstoffe, die der Norm EN590 genügen und denen paraffinischer Diesel beigemischt ist. Zu diesem Mischkraftstoffen zählen etwa Diesel R33, Shell Blue Diesel, OMV EcoMotionDiesel, Aral Diesel Futura, und weitere. Allesamt enthalten sie regenerative Kraftstoffkomponenten, wodurch die CO₂-Emissionen je nach Mischungsverhältnis sinken. Durch den Einsatz der genannten Produkte lassen sich mindestens 25 Prozent CO₂ einsparen. Damit wären viele unserer Flottenbetreiber zufrieden, falls sie nicht auf 100 Prozent vollelektrische Fahrzeuge umstellen können – insbesondere, da sie mit den 25 Prozent CO₂-Reduktion die nächsten drei bis vier Jahre in ihrer Nachhaltigkeitsmatrix weiterkommen können. Im Übrigen sind diese Kraftstoffe in allen Dieselmotoren – also auch in älteren ohne XTL-Label – nutzbar. Die Zukunft auf diesem Sektor gehört jedoch vollständig erneuerbaren Biokraftstoffen sowie E-Fuels wie PtL (Power-to-Liquid).
„Coming soon“: Unbegrenztes Mengenpotenzial.
Können Sie den Begriff E-Fuels bitte kurz für unsere Leserinnen und Leser einordnen?
E-Fuels ist ein Zukunftsthema. Eine reale Möglichkeit, solche Kraftstoffe zu tanken, haben Kundinnen und Kunden voraussichtlich frühestens ab 2028. Derzeit befinden wir uns noch in der Anlaufphase. E-Fuels, die man auch als synthetische Kraftstoffe bezeichnet, bieten eine gute Chance, herkömmliche fossile Brennstoffe nahezu eins zu eins zu ersetzen – ohne große Investitionen auf Verbraucherseite. Erzeugt werden sie mithilfe von CO₂ und Strom aus regenerativen Quellen. Das Ergebnis ist dann entweder synthetischer Diesel oder synthetisches Benzin. Beispiele für solche E-Fuels sind XtL oder X-to-Liquid, GtL sowie PtL. Dabei nutzt man die Möglichkeit, aus unterschiedlichen Rohstoffen zunächst ein Synthesegas zu erzeugen, woraufhin über das sogenannte Fischer-Tropsch-Verfahren Dieselkraftstoff (synthetischen Diesel), der die Norm EN 15940 erfüllt, gewonnen wird. Das ist die gleiche Norm, die auch für HVO seine Anwendung findet.
Kommen wir noch einmal zurück zum Thema HVO. Dürfen diese Kraftstoffe auch in Fahrzeuge getankt werden, die kein XTL-Label in der Tankklappe haben?
Wir sind nun mit der 100%-igen Freigabe für HVO oder XTL so weit fortgeschritten, dass wir sie für Modelle bis zum Jahr 2019 gewähren können. Kundinnen und Kunden müssen hierfür lediglich einen Volkswagen Servicepartner aufsuchen. Dort wird geprüft, ob das Fahrzeug für den Betrieb mit HVO/XTL geeignet ist. Falls ja, gibt es die Freigabe samt passendem Aufkleber. Unser Ziel ist es, europaweit Modelle rückwirkend bis zum Jahr 2015 freizugeben.
Über Ottomotoren haben wir bislang noch gar nicht gesprochen. Welche Möglichkeiten haben Flottenbetreiber hier, die CO₂-Emissionen ihrer Fuhrparks zu reduzieren?
Bei Ottomotoren kennen wir bereits die Variante mit der Beimischung von 10 Prozent Ethanol im Kraftstoff E10 (Bio-Sprit). In Brasilien haben wir sogar Erfahrungen mit Motoren, die zu 100 Prozent mit Ethanol betrieben werden. Wir sind zuversichtlich, dass wir unsere Fahrzeuge in Europa für E20 freigeben können, sofern es eine entsprechende Norm und Kraftstoffqualität gibt. Derzeit testen wir E20 über alle unsere Marken und Plattformen hinweg in einem umfassenden Prozess.
Wie sieht die Entwicklung im Bereich der E20-Tankstellen aus?
In Mannheim wurde kürzlich die erste E20-Tankstelle Deutschlands eröffnet. Das dort angebotene Ethanol wird bevorzugt aus Reststoffen wie Stroh hergestellt, um von der konventionellen Nutzung landwirtschaftlicher Produkte wegzukommen. Allerdings darf diese Tankstelle aus rechtlichen Gründen bislang nicht an die Öffentlichkeit verkaufen, sondern nur an Flottenkunden, die im Rahmen eines geschlossenen Flottentests mit insgesamt 85 Fahrzeugen E20 testen.
Wie wird diese Entwicklung in der Öffentlichkeit und von Kundenunternehmen aufgenommen?
Insbesondere im süddeutschen Raum stoßen wir schon jetzt auf großes Kundeninteresse, insbesondere im Flottenbereich, und prüfen derzeit geeignete Standorte für weitere E20-Tankstellen. In der Öffentlichkeit wird der im Projekt eingeschlagene Weg ganz überwiegend positiv gesehen, wenn auch klar angesprochen wird, dass es sich hierbei nicht um ein Allheilmittel handelt.
Welche Herausforderungen sehen Sie auf dem Weg zu einer breiteren Einführung von E20?
Für E20 gibt es noch einiges zu tun, insbesondere mit Blick auf die Themen Standardisierung und Gesetzgebung. Wir arbeiten derzeit zusammen mit Dritten an der Entwicklung einer entsprechenden Norm und hoffen, dass sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene die Fuel Quality Directive (FQD, dt. Kraftstoffqualitätsrichtlinie) entsprechend angepasst wird. Unser erklärtes Ziel ist es, die Wünsche der Industrie und der Kundinnen und Kunden zu berücksichtigen und E20 offiziell freizugeben.
Bleibt noch ein Thema offen: Wasserstoff! Welche Herausforderungen sehen Sie in Bezug auf die Infrastruktur für Wasserstofftankstellen in Deutschland?
Um eine flächendeckende Versorgung in Deutschland zu erreichen, würden wir für PKW 3.000 bis 5.000 Wasserstofftankstellen benötigen. Im Bereich des Transports könnten Modelle funktionieren, bei denen beispielsweise Logistikdienstleister eigene Wasserstofftankstellen für ihren Fuhrpark errichten. Für den Fernverkehr entlang der Hauptverkehrsadern könnten laut Modellrechnungen etwa 150 Tankstellen ausreichen, um eine 24/7 Versorgung zu gewährleisten.
Abschließende Frage: Als Entwickler fahren Sie sowohl Bio-Fuels wie auch E-Fuels. Macht sich die Kraftstoffwahl beim Fahren bemerkbar?
Als Diesel-Fahrer muss ich sogar sagen: Die neuen Kraftstoffe sind einen Tick besser. Im Kaltstart ruckelt der konventionelle Diesel beispielsweise durchaus ein bisschen mehr im Vergleich zu HVO oder Diesel R33. Im Gegenzug fällt der Verbrauch bei 100 % HVO minimal höher aus.
Stand: 18.12.2023
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